Kreta - mein Traum! Schon in jungen Jahren hatte ich mit Begeisterung die „Schönsten Sagen des klassischen Altertums" von Gustav Schwab gelesen. Die vielen Helden und Götter verwirrten mich; sie aber wollte ich nicht kennenlernen, die Menschen sehr wohl, ihre Lebensweise und Umwelt - und die Gedankenwelt, die solche Mythen entstehen ließ. Immer wieder hatte ich davon gehört, dass die Spuren der europäischen Kultur vielleicht auf Kreta zu finden seien.
So schlummerte ein lange gehegter Wunsch still weiter. Das Versunkene, das Vergängliche, die ans Licht gehobenen Schätze menschlichen Wirkens hinkünftig einmal mit eigenen Augen sehen und erleben zu können, ließ mich nicht los. So manche Lektüre hielt die Flamme während meiner Berufszeit und im Alltag meines Familienlebens am Flackern. Und dann, nach vielen, vielen Jahren - meine Berufslaufbahn näherte sich langsam dem Ende zu - kam das Jahr 1987.
Unsere Freunde Philomena und Imre feierten Jubiläum: ihre Silberhochzeit. Aus diesem Anlass luden sie meine Gattin Erika und mich ein zu einer Fahrt nach Griechenland. Es war die Gelegenheit schlechthin und bedurfte nur unserer Zusage. Doch vorerst nur Verwunderung und Staunen - dann aber erfasste uns unbeschreibliche Freude. Begeistert sagten wir „Ja!!!" An einem Septembermorgen fuhren wir los in Richtung Süden.
Wunderbar die Eindrücke, die sich während der Autofahrt nach dem Süden an so mancher antiken Kulturstätte erschlossen. In Erinnerung bleiben mir besonders die Besuche in Metéora und in den Mistra-Klöstern, ebenso die Tropfsteinhöhle von Pírgos Diroú auf dem letzten Zipfel der Pelopónnes. Hier wurde auch die Idee geboren (war's Höhlenkoller?), doch gleich hinüberzuhüpfen auf die Insel meiner Träume: Kreta. In Gíthio schifften wir uns abends ein, die Nacht verbrachten wir an Deck der Fähre; des Morgens ankerte sie in Kastélli Kíssamos.
Die Sonne war noch hinter den Bergen, als wir zum ersten Mal kretischen Boden betraten. Nicht zu fassen!
Nach einem ausgiebigen Frühstück fuhren wir die Nordküste entlang, wollten aber hier nicht irgendwo bleiben, also fuhren wir weiter südwärts. Dort, wo Zeus in Gestalt eines Stieres mit der Prinzessin Europa an Land ging, fanden wir bald eine gute Bleibe: in Mátala.
In der Sage lesen wir: „Das hübsche Mädchen Europa - Tochter Agenors (Poseidons Sohn und König in Tyros) - wurde von Zeus, der die Gestalt eines Stieres angenommen hatte, übers Meer nach Kreta getragen."
Meine Träume beginnen wahr zu werden.