Der Wiener Nordwestbahnhofs wurde 1872 als letzter der großen Kopfbahnhöfe in Wien errichtet um die deutschsprachigen nordböhmischen Industrieregionen mit Wien und in der Folge Wien mit Berlin und den Nordseehäfen zu verbinden. Im Gegensatz zu anderen Wiener Bahnhöfen konnte der Nordwestbahnhof seine Funktion als innenstadtnaher Umschlagplatz für den transnationalen Güterverkehr bis zuletzt erhalten. Trotz seiner Größe und Bedeutung scheint dieser Bahnhof jedoch völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Ausgerechnet 2022 im Jubiläumsjahr seines 150-jährigen Bestandes wird er seine endgültige Stilllegung erfahren und in naher Zukunft einem neuen Stadtentwicklungsgebiet für etwa 15.000 neue Bewohner*innen weichen müssen.
Das Buch versteht sich als Erinnerungsarbeit an die wechselvolle Geschichte dieses Bahnhofs und seiner Bedeutungen: einerseits als Knotenpunkt eines übergeordneten Transport-Netzwerkes und dessen Wechselwirkungen mit der Stadt – und andererseits als Mikrokosmos sich wandelnder Arbeits- und Lebensräume für eine Vielzahl von Menschen unterschiedlichster Herkunft. In 4 Kapiteln und 4 Essays werden von seiner Entstehungsgeschichte unterschiedliche verdrängte Schichten, bauliche Transformation und soziale Überformungen »freigelegt«: von den Fischpopulationen, die in den 1860er Jahren während der Aufschüttungen dem Industrialisierungsschub zum Opfer fielen, über die Zwischennutzungen der Zwischenkriegszeit, zu denen auch die NS-Propaganda Ausstellung »Der ewige Jude« von 1938 zählte, die in Deportation und Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung endete, bis zum Wiederaufbau nach der russischen Besatzungszeit, den Boom-Jahren während des kalten Krieges und seinem sukzessiven Rückbau.
Weight:
500 g
Author:
Bernhard Hachleitner, Michael Hieslmair, Michael Zinganel