März 02, 2023

Fels- und Eistouren - Die schönsten Hochtouren in den Ostalpen

Fels- und Eisklettern zählt zu den erlebnisreichsten Disziplinen um alpines Gebirge zu entdecken. Je nach Gebiet, Schnee-, Lawinen- und Wetterlage ist es teilweise schon möglich, die ersten Hochtouren ab dem Frühjahr zu bestreiten. Grund genug um jetzt schon in die Planung für den Frühling und Sommer zu gehen. Wir haben für euch ein paar Hochtour-Ideen in den Ostalpen rausgesucht.

Monte Disgrazia, 3678 m

Nordwestgrat

Anforderungen: Im Fels III, meist II und I, Eis auf dem Gletscher bis 30°, am Grat bis 40° (wenn Eis vorhanden ist)
Material: Gletscherausrüstung
Talort: Cataèggio im Val Màsino, 791 m
Ausgangspunkt: Preda Rossa, 1955 m, auf teilweise schlechter Straße von Cataèggio zu erreichen

Stützpunkt: Rifugio Cesare Ponti, 2559 m, Telefon +39 0342 611455, www.rifugioponti.it

Der Ritt auf dem Bronzepferd

»Disgrazia« – schlägt man diesen Namen im Italienischwörterbuch nach, steht hier an erster Stelle das Wort »Unglück« und gleich an zweiter Stelle – fast noch schlimmer – der Begriff »Unfall«. »Unglücksberg«, »Unfallberg«, puh  ...! Aber wir sind schließlich nicht abergläubisch, denn das bringt ja bekanntlich Unglück!

Aber Ernst beiseite, eigentlich ist der Name dieses Berges nur unglücklich gewählt, sozusagen ein Unfall während der Taufe, bei der sicher noch kein Bergsteiger das Wort führte. Halten wir uns also lieber an seinen viel sympathischeren, italienischen Kosenamen: »Pizzo Bello« (schöne Spitze). Doch die »unglückliche Schönheit« ist nicht leicht zu haben und legt uns, wenn wir ihr auf die Pelle rücken wollen, einige Steine in den Weg. Wir starten deshalb unseren Annäherungsversuch etwas mühsam auf einem recht langen Moränenrücken und dem folgenden, ungemütlichen Schutt am Westufer des Ghiacciaio di Preda Rossa. Oberhalb der gröbsten Falten betreten wir dann diesen Gletscher, um schließlich die Sella di Pioda zu erreichen.


© Edwin Schmitt

Hier beginnt dann der schöne Nordwestgrat, der mit mehreren steilen Aufschwüngen zum Vorgipfel führt. Ob es sich dabei um einen kombinierten, gleißenden Firngrat oder einen reinen Felsanstieg in festem rötlichem Serpentin handelt, entscheiden die Verhältnisse. Im Hochsommer ist der Grat aber meistens vollkommen ausgeapert. In diesem Fall klettern wir in festem, stellenweise recht luftigem Fels, wobei uns vereinzelte Blankeisfelder durchaus auch mal in Felspassagen zwingen können, die an den III. Grad heranreichen. Sind wir dann am Vorgipfel angekommen, dürfen wir auf dem Rücken des »Bronzepferdes« (Cavallo di Bronzo) zum Gipfel reiten. Und das tut dann so mancher »Cavalcatore« auch im wahrsten Sinne des Wortes. Denn der so edel benannte »Reitgrat« ist die Schlüsselstelle der Route. Wer jedoch beherzt in die felsigen »Steigbügel« tritt und sich an der feingriffigen Mähne festhält, ist in wenigen Augenblicken zu den leichten Gipfelfelsen getrabt, auch ohne seinen Allerwertesten zu malträtieren.

Dennoch bleibt manchmal ein Teil der »Glücksritter« respektvoll, aber hoffentlich nicht unglücklich am nur wenig niedrigeren Vorgipfel zurück. Die »Bellavista« (schöne Aussicht) vom höchsten Bergellgipfel hinüber zur Bernina und hinunter in die Weingärten des Veltlin dürfen nämlich alle genießen, zumindest dann, wenn das Wetter passt. 

Hüttenzugang: Preda Rossa, 1955 m – Rifugio Cesare Ponti, 2559 m
Von Preda Rossa auf gut markiertem Weg  durch das Valle di Preda Rossa zum Rifugio Cesare Ponti.

Aufstieg: Rifugio Cesare Ponti, 2559 m – Monte Disgrazia, 3678 m

Zugang: Vom Rifugio Cesare Ponti folgen wir dem Wegweiser Richtung Monte Disgrazia. Der rot markierte Weg führt zunächst zum Beginn des markanten Moränenrückens am Westrand des Preda-Rossa-Gletschers. 
Auf der Moränenkrone führt nun ein Pfad aufwärts, der sich im Schutt am Westufer des oberen Gletscherabschnitts verliert. Weiter den Steinmännern folgend, etwas mühsam zum Preda-Rossa-Gletscher, den wir dann oberhalb einer zerrissenen Spaltenzone betreten. Einzelnen Querspalten ausweichend, steigen wir in nördlicher Richtung über den mäßig steilen Gletscher hinauf bis unter die breite Scharte zwischen Monte Pioda und Monte Disgrazia, die Sella di Pioda, 3387 m.

Nordwestgrat: Der klassische Weg umgeht den ersten Grathöcker des Nordwestgrates südlich, dies ist jedoch nur bei guter Firnauflage empfehlenswert. Bei ausgeapertem Zustand ist es viel besser, bereits ab der Sella di Pioda dem Gratverlauf zu folgen. Die Felsen des ersten Grathöckers sind zwar noch nicht der große Hit, aber immerhin passabel und viel besser zu begehen als der unangenehme Steilschutt unterhalb. Im weiteren Gratverlauf bleiben dann bezüglich der Felsqualität kaum noch Wünsche offen. Wir folgen dabei ohne Orientierungsprobleme fast durchweg dem Gratfirst bis zum Vorgipfel. Je nach Verhältnissen können jedoch einzelne Blankeisfelder ein kurzes Ausweichen in die Flanken erfordern. Meist nur früh im Jahr (bei guten Firnverhältnissen) treffen wir abschnittsweise auf eine oft scharf ausgeprägte Firnschneide bis ca. 40°. 
Vom Vorgipfel führt schließlich die Schlüsselstelle (Cavallo di Bronzo, Fels III, bei Firnauflage auch leichter) zu den wenig schwierigen Gipfelfelsen des Monte Disgrazia. 

Abstieg: Monte Disgrazia, 3678 m – Preda Rossa, 1955 m
Entlang der Aufstiegsroute.

Schwierigkeit: ziemlich schwierig
Gehzeit: 11.30 Std.
Höhenmeter Aufstieg: 1.880 m
Höhenmeter Abstieg: 1.880 m
Strecke: 16,9 km

 

Piz Palü, 3901 m

Überschreitung (Ost – West)

Anforderungen: Eis bis 40°, Fels II (beim Abstieg vom Piz Spinas) Je nach Verhältnissen im Gletscherbruch sind kurze Stellen auch mal steiler als 40°, diese sind manchmal (nicht immer!) durch Leitern entschärft
Material: Gletscherausrüstung, Abseilachter für Abseilstelle am Fortezzagrat.
Talort: Pontresina, 1805 m
Ausgangspunkt: Talstation Diavolezza-Bahn, 2093 m, großer Parkplatz, hierher gelangt man auch mit der Rhätischen Bahn
Stützpunkt: Berghaus Diavolezza, 2973 m, Telefon +41 81 839 39 00

 

In der Beliebtheitsskala ganz oben

Aller guten Dinge sind drei. Beim Piz Palü trifft dieses Sprichwort besonders zu. Drei großartige Gipfel, getragen von drei majestätischen Felspfeilern. Dazwischen das Eis-Chaos der Hängegletscher, das die Perfektion der Pfeiler nur umso deutlicher unterstreicht. Genau diesem nahezu vollkommenen Dreiklang der Linien verdankt der Piz Palü seine Berühmtheit. Ein Antlitz voller Harmonie, das ihn aus dem Meer der vielen Alpengipfel heraushebt und sein Bild unverwechselbar in den Gedanken vieler Bergsteiger festhält. Freilich gilt das nur für die Schweizer Prachtseite. Die drei Schuttkuppen, die der Palü dem italienischen Altipiano di Fellaria zuwendet, haben wohl kaum zu seinem alpinen Adel beigetragen. Von der Diavolezza, unserem Stützpunkt, sehen wir jedoch nur die »Schokoladenpudding-mit-Sahne-Seite«. Nahezu die gesamte Route ist einzusehen, und so können wir bereits am Vorabend mit den Augen über die drei Palü-Spitzen wandern und uns die ausgesetzten Gratpassagen vorstellen, die dieser Weg für uns bereithält. Wenn dann am nächsten Tag das Wetter stimmt, werden wir sicher nicht enttäuscht. Den Auftakt bildet allerdings zunächst das Spaltenlabyrinth der Nordostflanke. Hier entscheiden die Launen des Persgletschers, ob es sich um einen eher einfachen oder anspruchsvolleren Anstieg handelt. Haben wir danach erst die Ostschulter erreicht, dann wird diese Überschreitung zum uneingeschränkten Fest der Sinne. Weit auskragende Wechten am Ostgipfel, eine schmale Firnschneide – wie eine Hängebrücke – zum Hauptgipfel, dann der nur mäßig schwierige Blockgrat vom Westgipfel hinunter zur Bellavista-Terrasse. Und das alles begleitet von einer Aussicht, die im Engadin nur vom Piz Bernina selbst oder vom Piz Morteratsch überboten wird. Und das auch nur deshalb, weil sich das eigentliche Schaustück unter unseren Sohlen dem Blick entzieht.
Spätestens auf der Bellavista-Terrasse müssen wir uns dann entscheiden, ob wir über den Fortezzagrat absteigen oder zur Marco-e-Rosa-Hütte weitergehen und vielleicht am nächsten Tag noch den Spallagrat zum Piz Bernina anschließen wollen. Letzteres bietet sich schon deshalb an, weil die Marco-e-Rosa-Hütte hier fast am Weg liegt, während der Zustieg vom Tal aus eher beschwerlich und langwierig ist. 


© Edwin Schmitt

Hüttenzugang: Talst. Diavolezza-Bahn, 2093 m – Berghaus Diavolezza, 2973 m
Die Diavolezza-Seilbahn führt direkt zum Berghaus Diavolezza. Wer lieber zu Fuß geht, folgt dem aussichtsreichen und bes tens markierten Weg über den kleinen Diavolezza-See, ca. 2.30 Std.

Überschreitung: Berghaus Diavolezza, 2973 m – Piz Palü, 3901 m – Fuorcla ­Bellavista, 3693 m
Vom Berghaus Diavolezza folgen wir dem Gratrücken in südöstlicher Richtung bis zu einer kleinen Scharte am Fuß des Sass Queder, diesen lassen wir links liegen und folgen dem Pfad in die schuttige Ostflanke des Piz Trovat. Auf Trittspuren queren wir diese Flanke bis zur Fuorcla Trovat, nun noch ein Stück auf dem Gratrücken weiter, bis wir den Gletscher an geeigneter Stelle betreten können. Zunächst halten wir in südwestlicher Richtung auf den Westfuß des Piz Cambrena zu. Hier setzt nun auch die Nordostflanke des Piz Palü mit dem Cambrena-Eisbruch an. Der Weiterweg durch dieses Eislabyrinth richtet sich ganz nach den Launen des Gletschers und ist steten Veränderungen unterworfen. Abhängig von der Jahreszeit und den Verhältnissen reicht das Anforderungsprofil von relativ problemlos bis anspruchsvoll. Meistens führt die Spur nahe der Westflanke des Cambrena entlang (dann möglichst großen Abstand zum Wandfuß halten bzw. einen Gang höher schalten, Eis- und Steinschlag aus der Westwand!). Manchmal müssen hier auch mächtige Spalten weitläufig umgangen, auf schmalen Brücken überquert oder sogar der Länge nach durchschritten werden, bis die »Stromschnellen« des Persgletschers weiter oben nachlassen. 
Oberhalb des Eisbruchs steigen wir durch die nun weniger zerrissene, aber manchmal durch einen Bergschrund unterbrochene Nordostflanke hinauf zur flachen Ostschulter. Von hier folgen wir dem firnigen Ostgrat hinauf zum Ostgipfel mit seinen manchmal weit nach Norden auskragenden Gipfelwechten (bis hierher wird die Route auch häufig mit Tourenski unternommen).  
Kurz absteigend weiter über den recht luftigen Grat zur Gipfelkalotte des Hauptgipfels. Achtung auf Spalten in Gipfelnähe! Vom Hauptgipfel über einen Firnhang hinunter und weiter am Grat Richtung Westgipfel (Piz Spinas). Der Grat ist manchmal nach Norden überwechtet. Wir halten uns daher eher links an den leichten Felsen der Südflanke. Ein kurzer Felsaufschwung führt dann bald hinauf zum Westgipfel. Dem Gratverlauf folgend, überklettern wir in schönem festen Gestein (II) eine Vielzahl kleiner Zacken und Höcker bis hinab zur firnigen Fuorcla Bellavista.

Abstieg: Fuorcla ­Bellavista, 3693 m – Station Morteratsch, 1896 m
Wenig westlich der Fuorcla Bellavista setzt unterhalb des Ostecks der Bellavista der nach Norden hinabziehende For­tezza­grat an. Wir queren ohne großen Höhenverlust in nordwestlicher Richtung zum Firnrücken des oberen Fortezzagrates und folgen diesem in nördlicher Richtung. Der Grat wird nach unten hin etwas felsiger. Über einen Absatz (II) wird am besten abgeseilt. Nun immer weiter in nördlicher Richtung hinab zur Isla ­Persa. Hier trifft man auf Steigspuren, die durch die Westflanke der Isla Persa hinab  zum Morteratschgletscher führen (See), den wir in westlicher Richtung überqueren. 
Am jenseitigen Ufer führen Steigspuren hinauf zur Moränenkrone des Westufers. Über den Pfad auf der Moränenkrone nach Norden, nach Wunsch kurzer Anstieg zur Bovalhütte hinauf (nicht zwingend), oder direkt talauswärts zur Station Morteratsch. Von hier Zugverbindung zur Talstation der Diavolezza-Seilbahn und Richtung Pontresina.  
Wer zurück zur Diavolezza möchte, überquert von der Isla Persa aus den Persgletscher in nordöstlicher Richtung. Am jenseitigen Ufer führt eine Pfadspur hinauf zur Diavolezza. 
Bei guten Verhältnissen kann man den Persgletscher auch unmittelbar nach dem Abstieg über den Fortezzagrat erreichen.

Alternative: Fuorcla Bellavista, 3693 m – Rifugio Marco e Rosa
Ab der Fuorcla Bellavista queren wir ohne großen Höhenverlust die Firnfelder in nordwestlicher Richtung zum hier als breiter Rücken ansetzenden Fortezzagrat. Diesen lassen wir rechts (nördlich) liegen und folgen leicht ansteigend in südwestlicher Richtung der Firnterrasse (Bellavista-Terrasse) unterhalb der vier Bellavista-Gipfel. In Höhe des westlichsten Bellavista-Gipfels steigen wir westlich hinunter in eine Firnmulde unterhalb des Crast’Agüzza (Spalten). Weiter in die Scharte nordwestlich des Crast’Agüzza (Fuorcla Agüzza). Ein kurzer Firnanstieg führt uns dann weiter in westlicher Richtung hinauf zum kleinen Rifugio Marco e Rosa, ca. 1.30 Std. 

Schwierigkeit: wenig schwierig
Gehzeit:10.00 Std.
Höhenmeter Aufstieg: 1.400 m
Höhenmeter Abstieg: 2.480 m
Strecke: 19,1 km

Ortler, 3905 m

Ostgrat »Hintergrat«

Anforderungen: Im Fels III/A0 bzw. IV–, Eis 40°
Material: Gletscherausrüstung
Talort: Sulden, 1866 m
Ausgangspunkt: Kirche St. Gertraud in Sulden Talstation Langensteinlift, 1844 m
Stützpunkte: Hintergrathütte, 2661 m, Telefon +39 0473 613188; Bergstation des Langensteinlifts (Restaurant Langenstein), 2330 m

 

 

Der schönste Weg auf den »höchsten Spiz im Land Tyrol« 

Trotz wesentlich höherer Schwierigkeiten hat sich der Hintergrat, zumindest der Zahl seiner Begeher nach, ebenfalls zum »Normalweg« auf den Ortler gemausert. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen ist der Ausgangspunkt für diese Tour, die aussichtsreich gelegene Hintergrathütte, leichter und schneller zu erreichen als die Payerhütte. Zum anderen ist der Hintergrat mit seinen Tiefblicken und der Aussicht zu Cevedale und Königspitze landschaftlich weit beeindruckender als der Normalweg. Der einzige Wermutstropfen ist der schier ewig lange Zustieg im steilen Moränenschotter bei dunkler Nacht, bis man endlich den Oberen Knott und damit den Grat erreicht hat. Schafft man es jedoch hier, am Oberen Knott, den Sonnenaufgang zu erleben, hat sich die Mühe schon gelohnt! 
Die Beliebtheit des Hintergrates sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier noch eine ganze Portion mehr alpinistisches Vermögen gefordert ist als am auch nicht gerade leichten Normalweg! Die Schlüsselstelle, ein abdrängender Riss (IV–), wartet nach dem Signalkopf und muss vom Vorsteiger ohne Wenn und Aber souverän gemeistert werden. Eine vor uns aufsteigende Seilschaft brachte es ab hier fertig, mit noch nie gesehenen, unsinnigen Sicherungsmethoden sowie einem indiskutablen Klettertempo uns und 14 weitere Bergsteiger fünf Stunden lang aufzuhalten! Und solche Szenen sind leider keine Seltenheit. Die Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit ist immer noch das wichtigste Kriterium zur Auswahl einer Tour. Und mag diese noch so weit oben auf der Wunschliste stehen, so sollte man sie nur angehen, wenn man ihr wirklich gewachsen ist. Dies gilt umso mehr für so beliebte und in ihrer Gesamtanforderung häufig unterschätzte Touren wie den Hintergrat!


© Edwin Schmitt

Hüttenzugang: Talstation Langensteinlift, 1844 m – Hintergrathütte, 2661 m
Mit dem Langensteinlift hinauf zum Restaurant Langenstein (K2-Hütte). Alternativ auch vom Parkplatz über gut markierten Wanderweg, ca 1.30 Std. 
Von hier quert man die für den Skizirkus planierten Schotterfelder nach Süden und gewinnt erst danach auf dem mit Nr. 3 markierten Morosiniweg an Höhe. Den Hintergratkopf umgeht man in seiner Ostflanke und erreicht so den Südostgrat, hinter dem ganz plötzlich in rund 20 Meter Entfernung die ­Hintergrathütte steht.

Aufstieg: Hintergrathütte, 2661 m – Ortler, 3905 m
Von der Hintergrathütte in der Dunkelheit auf deutlichem Steig nach Westen zur nördlichen Ufermoräne des Suldenferners und auf dieser bis zu einem Felsvorbau, der vom Hintergrat herunterkommt und mit ihm ein steiles Kar einschließt. Langsamere Partien sollte man möglichst auf dieser flachen Strecke überholen, im Folgenden wird dies wesentlich schwieriger!  
Unmittelbar am Felsaufbau verlässt man die Moräne und steigt mühsam in steilem Schutt durch das Kar an, bis es unterhalb einer Felsstufe endet. Die Felsstufe wird durch eine kurze Rinne und einen Kamin erstiegen (II) und so ein Absatz erreicht. Von hier steigt man immer links haltend hinauf, bevor man zuletzt über einen ausgeprägten Grat auf den Oberen Knott klettert (II). 
Hier zieht man die Steigeisen an und folgt dem flachen und breiten Firngrat hinauf, bis er sich im Felsgrat verliert. Unschwierig auf diesem hinauf zu einem markanten Absatz, 0.30 Std. (gerät man auf den ausgesetzten, horizontalen First, hat man den Absatz verpasst: etwa 30 m zurück!). Vom Absatz nach links, einer Rinne folgend 15 m hinab und, dem Band weiter folgend, horizontal zurück auf den Grat, den man hinter einem senkrechten Felsturm (Signalkopf) wieder betritt. 20 m jenseitig gelangt man zu einer Stufe, die in einem nach links abdrängenden Riss erklettert wird (IV– bzw. III/A0, 5 m, 2 Haken). Dies ist die Schlüsselstelle. Oberhalb klettert es sich wieder leichter über zwei weitere Stufen (III) auf einen horizontalen Kamm, auf dem man den Beginn des ersten Firnhanges erreicht. Über diesen (40°) bis unter eine 50 m hohe Felsstufe, die direkt erklettert wird. Zunächst noch II und gut griffig, so sind die letzten 5 m leicht überhängend und stehen der Schlüsselstelle weiter unten nur wenig nach (IV–, Haken)! Auf dem Felsgrat wenige Meter weiter zu einem Firngrat, dem man zur zweiten Felsstufe folgt (20 m, II). Auf dem ausgesetzten Grat weiter über einige kleine Zacken zu einer Rinne, die zum Gipfel des Ortler führt (100 m, I).

Abstieg: Ortler, 3905 m – Langenstein Sessellift, 1844 m 
Über den Normalweg (siehe Tour 22, dort ist die Route auch in Abstiegsrichtung beschrieben).

Schwierigkeit: wenig schwierig
Gehzeit: 10.30 Std.
Höhenmeter Aufstieg: 2080 m
Höhenmeter Abstieg: 2080 m
Strecke: 17,2 km

 

Großes Wiesbachhorn, 3564 m

Nordostgrat »Kaindlgrat«

Anforderungen: Im Fels I, kurzer gesicherter Abschnitt beim Aufstieg zum Oberen Fochezkopf, Firn bis 30° (je nach Jahreszeit, im Sommer meist völlig ausgeapert)
Material: Bergausrüstung, je nach Verhältnissen auch Steigeisen
Talort: Kaprun, 786 m
Ausgangspunkt: Alpenhaus Kesselfall, 990 m, von hier mit Bus und Schrägaufzug bis zur Moosersperre, 2050 m. Früh morgens fährt ab hier ein Bergsteigerbus (Abfahrtszeiten unter www.verbund.at), dann auch als Tagestour möglich
Stützpunkt: Heinrich-Schwaiger-Haus, 2802 m, Telefon +43 664 6565555

 

 

Es war einmal …
ein schneidiger Firngrat über einer berühmten Eiswand

Als »schönster Dreitausender« wird das Wiesbachhorn manchmal bezeichnet, so auch im Alpenvereinsführer Glockner- und Granatspitzgruppe. Mit solchen Titeln sollte man aber auch bei so eindrucksvollen Zielen wie dem »Fischbachhorn« (wie es früher auch einmal hieß) etwas sparsamer umgehen, zumal nur wenige Kilometer weiter im Süden mit dem Großglockner auch ein wirklich gelungenes Stück Schöpfung steht. Dies tut dem schlanken Firnhorn, das man unbedingt einmal von Südwesten bewundern sollte, jedoch keinen Abbruch, denn, Superlativ hin oder her, das Große Wiesbachhorn ist wirklich einer der imposantesten Berge in der langen Kette der Hohen Tauern. Den Bauern im Pinzgau galt es im 18. Jahrhundert noch als höchster Berg, und in der Tat ist die Ostflanke mit 2400 Metern Höhenunterschied zum Fuschertal die höchste durchgehende Flanke der Ostalpen.  
Mit dem Firn allerdings ist es leider nicht mehr so weit her. Der Kaindlgrat ist mittlerweile fast vollständig ausgeapert und nur im Frühsommer trifft man noch auf den Restschnee des vorangegangenen Winters und die einst so berühmte Nordwestwand gleicht einer steilen Sanddüne. Will man den schönen Schwung des Kaindlgrates erleben, sollte man das Wiesbachhorn also kurz nach der Öffnung des Heinrich-Schwaiger-Hauses angehen (Juni oder Anfang Juli).  
Als wir uns wegen des schlechten Wetters beim Aufstehen Zeit ließen, ernteten wir beim damaligen Wirt Bartl Goller – einer vom alten Schlag – schon den ersten Groll: Wozu er denn so früh aufstehe, wenn wir dann im Bett blieben? Recht hatte er! Auch wenn wir den gesamten Grat im Nebel und bei stürmischem Schneetreiben hinaufstapften und den Gipfel nur am Kreuz erkannten, war diese Besteigung – Bartl sei Dank! – ein besonders befriedigendes Erlebnis. 

Es gibt wahrscheinlich nur wenige Hochtouren, bei denen die Orientierung so einfach ist wie am Kaindlgrat – ohne den hochalpinen Charakter dieses Anstiegs verharmlosen zu wollen. Der Gipfel belohnt mit einer großartigen Aussicht und einem ebenso beeindruckenden Tiefblick ins Fuschertal.

 


© Edwin Schmitt und Wolfgang Pusch

Hüttenzugang: Mooserboden, 2050 m –  Heinrich-Schwaiger-Haus, 2802 m
Nachdem man vom Kesselhaus mit Bus, Schrägaufzug und wieder Bus für ein nicht geringes Entgelt, dafür aber bequem endlich den Mooserboden erreicht hat, überquert man zwei gewaltige Staumauern, um den eintönigen Hang zu erreichen, über den der Weg zur Hütte hinaufführt. Der Anstieg ist im sandigen Gestein leider recht mühsam, aber wenigstens mit merklichem Höhengewinn verbunden. Der Ausblick auf die Stauseen und die darüber aufragenden Gipfel der Glocknergruppe wird daher immer eindrücklicher, bevor man das Heinrich-Schwaiger-Haus erreicht.

Aufstieg: Heinrich-Schwaiger-Haus, 2802 m – Großes Wiesbachhorn, 3564 m
Vom Heinrich-Schwaiger-Haus  folgt man dem markierten Weg und erreicht bereits nach 10 Minuten einen gestuften Kamin, durch den man, immer den Drahtseilen und Eisenstiften folgend, auf die darüberliegenden Bänder gelangt (I). Den Wegspuren folgend, erreicht man so den Unteren Fochezkopf, 3023 m, von dem ein kurzer Firngrat hinaufführt zum Oberen Fochezkopf, 3159 m. Hier beginnt der eigentliche Kaindlgrat, der zwar flach, aber durchaus ausgesetzt hinüberführt zur breiten Wielingerscharte unterhalb des Gipfelaufbaus des Wiesbachhorns. Die Wielingerscharte selbst wird nicht betreten und bleibt rechts unterhalb. Der Grat wendet sich jetzt nach links und wird wieder steil (im Spätsommer aber völlig aper). Über abwärtsgeschichtetes, sandiges Gestein (I) erreicht man, immer auf der Gratkante bleibend, das Große Wiesbachhorn. 

Abstieg: Großes Wiesbachhorn, 3564 m – Mooserboden, 2050 m 
Auf dem Aufstiegsweg hinab zum Mooserboden , oder aber weiter zur Oberwalderhütte (siehe Tour 85).

Schwierigkeit: wenig schwierig
Gehzeit: 8.00 Std.
Höhenmeter Aufstieg: 1600 m
Höhenmeter Abstieg: 1600 m
Strecke: 13 km

 

 

Diese und viele weitere Touren findet ihr im Buch Rother Hochtouren Ostalpen. Für die Westalpen gibt es sogar zwei Bände: Rother Hochtouren Westalpen Band 1 & Rother Hochtouren Westalpen Band 2.


Titelbild: © Edwin Schmitt
© Hochtouren Ostalpen - 101 Fels- und Eistouren zwischen Bernina und Tauern