Der Fahrer fährt im Schritttempo, der Wagen schaukelt stark. Wir überholen eine Frau in dunkler Hose und hellgrüner Jacke. In diesem Moment rutscht das Vorderrad am Teer ab, fast hätte der Kühler die Frau berührt. Unvermittelt ist sie dicht an der Scheibe, uns trennen nur wenige Zentimeter. Sie bemerkt mich nicht, macht einen Schritt zur Seite. Das Blätterdach der Bäume neben der Straße wirft unruhige Schatten auf ihre Gestalt. Sie geht aufrecht, obwohl sie eine schwere Tasche trägt. Das schwarze lange Haar hat sie hinten zu einem Knoten zusammengebunden, ihre Haut ist von der Sonne gegerbt. Gesichtszüge, die von einem harten Leben sprechen. Das Kinn ist halb versteckt im grauen Halstuch. Es ist die überraschende Nähe, die mich auf sie aufmerksam macht.
Während der Wagen weiterholpert, stelle ich mir vor, wer sie wohl ist, wie sie lebt, was sie erlebt hat. Ihr Vater könnte als Partisan gegen die japanischen Besatzer gekämpft haben, nicht weit, im chinesischen Grenzgebiet, im Gebirge, dessen höchste Erhebung der Paektusan ist. Nach dem Krieg wollte er als überzeugter Kommunist in die Partei eintreten, wurde aber nicht aufgenommen, weil er eine Frau aus dem Süden geheiratet hatte. Eine, die vor den westlichen Alliierten mit ihrer Familie nach Norden geflohen und dort hängen geblieben war, eine Sozialistin. Und Katholikin vielleicht. Er liebte sie und nahm sie zur Frau, obwohl die Heirat mit einer Angehörigen der dritten Klasse, den ›feindlich Gesinnten‹, zu denen sie als Flüchtling aus dem Süden und erst recht als Katholikin zählte, untersagt war. Dass sie Christin war, verheimlichten die beiden, waren aber in beständiger Sorge, dass die Behörden es wüssten oder eines Tages erführen und sie deportieren könnten.