Die offizielle Geschichtsschreibung der Türkischen Republik kennt keinen Völkermord
an den Armeniern. Die »Umsiedlungen« gelten als unschöne, aber unabwendbare
Folge des Ersten Weltkrieges. Die Entdeckung der Erinnerung hat
jetzt Bewegung in die öffentliche Diskussion gebracht: Die Generation der Enkel
beginnt, von den Großeltern zu erzählen.
Diese Geschichten handeln vom Weiterleben nach dem Untergang des Vielvölkerreichs,
von Leid, Schweigen und Verwüstung. Sie gehen den Menschen
ans Herz. Sie rufen Anteilnahme, nicht aber ideologische Abwehrreflexe hervor.
Viele in der Türkei haben sich inzwischen aufgemacht, die Vergangenheit mit
anderen Augen zu erkunden – mit ihren Erkenntnissen sind sie eine Provokation
für die Hüter der offiziellen Doktrin.
Mit großer Sachkenntnis und Sorgfalt fasst Sibylle Thelen den Stand der Forschung
zu den Ereignissen von 1915 zusammen, geht der Tradition des Vergessens
und Verdrängens nach und erzählt mit Empathie vom Aufbruch der Bürger
in die Vergangenheit. Vom Umgang mit dieser Vergangenheit wird die demokratisch-
pluralistische Entwicklung der Türkei und ihr Verhältnis zu Europa abhängen.
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